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Land und Leute – Teil 5 – Lebensbedingungen

Mittwoch, März 5th, 2008

In dieser Kolumne habe ich bisher über „lustige“ und kuriose Beobachtungen und in den anderen Berichten von der Schönheit dieses faszinierenden Landes berichtet. Aber es gehört auch zum Leben in México, dass man abschreckende Dinge sieht. Am Anfang ist es ein Schock, dass man mit existentieller Armut, Elend und menschlichen Tragödien konfrontiert wird… aber (so traurig es ist) – man „gewöhnt“ sich daran.

Das „schlechte Gewissen“ ist trotzdem oft dabei, wenn man durch heruntergekommene Vororte von Städten fährt, die ich zwar noch nicht als „Slums“ bezeichnen würde, die aber nicht mehr weit davon entfernt sind. Dort oder in den vielen Bauruinen direkt an der Stadtautobahn spielt sich das oft traurige (aber wahre) Leben Mexikos ab. Vergleicht man die Lebensweise der Menschen dort mit der von der noch „glücklichen Mehrheit“, die hinter den hohen Mauern und Zäunen mit ihren Wachhunden lebt und auf deren Höfen gut bewachte Autos stehen, so muss man von einem sozialen Gefälle sprechen, dass gefährliche Ausmaße annimmt. Nicht umsonst stehen vor Banken meist schwerbewaffnete Polizisten mit schusssicheren Westen und Gewehr im Anschlag. Auch wenn ich selbst noch nie in eine gefährliche Situation gekommen bin und auch sonst nur von „normalem Diebstahl“ gehört habe oder mit einem Reifendiebstahl konfrontiert wurde (dabei standen die Autos eben mal nicht hinter der hohen Mauer), muss man in einigen Gegenden auch mit Schlimmerem rechnen.

Das Unschönste daran ist die eigene Hilflosigkeit, wenn man barfüßige Kinder in den Städten sieht, die einem billiges Plastikspielzeug verkaufen wollen und damit wahrscheinlich ihre Familie ernähren. Die Perspektivlosigkeit der Menschen ist traurig und noch schlimmer ist, dass man als Einzelner nur hilflos zusehen und nichts bewirken kann. In einem Land mit einer Analphabetismus-Quote von über 10% gibt es Probleme, die an ganz anderer Stelle gelöst werden müssten.

Die niedrigen Lohnkosten in Mexiko, die fehlende soziale Absicherung und die traurige Tatsache, dass viele Menschen hier unterhalb der Armutsgrenze leben, machen es möglich: Arbeit ist für alle zur Genüge da und wird meist auch bitter benötigt, um die eigene Versorgung zu sichern. Wenn nicht die ganze Familie an einem Taco-Stand, auf einem der vielen Märkte, in der Landwirtschaft oder im Betrieb des Großvaters arbeitet, bleibt noch eine der unzähligen „Dienstleistungs- tätigkeiten“: Zu jedem Geschäft gehören Einpack- und Auspark-Helfer… Kinder packen für ein paar Pesos den Einkauf in Plastiktüten und auf dem Parkplatz stehen deren die Väter, die beim Beladen des Autos helfen und mit Pfeife im Mund und wildem Gestikulieren den Weg beim Ausparken „freihalten“. Auf anderen Parkplätzen wird man auch von Kindern angesprochen, die für ein paar Pesos das Auto „bewachen“ wollen. Überall werden Sachen abgenommen, die Arbeit erleichtert oder „unnötigerweise“ Hilfe angeboten: Manche Unterstützung will man eben gar nicht haben, es bleibt aber nicht viel übrig, als sie zu akzeptieren.

Weitere Beispiele: Im Geschäft sucht man sich zwar seine Brötchen und sein Brot selber aus, zum Einpacken muss man es aber dann noch einer der vier „Einpackfrauen“ geben; an der Fleischtheke stehen 15 Verkäufer, die am liebsten alle gleichzeitig eine Beratung vornehmen wollen; an den Tankstellen gibt es meist zwei Tankwarte pro Zapfsäule; ständig wird irgendwo sauber gemacht und geputzt; auf vielen Toiletten werden Seife und Papier angereicht, wenn man am Waschbecken steht; ständig wird man von Schuhputzern angesprochen; Verkäufer von Souvenirs wollen ihre Ware loswerden; und so weiter und so fort… Würde ich diese Liste fortsetzen, könnte ich wahrscheinlich den ganzen Blog füllen. Und dabei habe ich hierbei noch die wirklich guten Arbeitsmöglichkeiten beschrieben. Unter unschöneren Bedingungen arbeiten die Verkäufer mit ihren Bauchläden, die im Feierabendstau auf der Autobahn Kaugummi, Zigaretten und kleine Snacks verkaufen. Vor allem die schwangeren Frauen, die den ganzen Nachmittag in den Autoabgasen stehen (bleifreier Kraftstoff ist hier nicht unbedingt selbstverständlich!) und noch ein anderes Kleinkind auf den Schultern tragen, möchte man am liebsten einsammeln und nach Hause fahren.

Was ich damit sagen will ist, dass es unglaublich viele Leute gibt, die kaum Geld verdienen und auch wenn ich hier als Praktikant ebenfalls kein Geld verdiene (das soll jetzt keine Beschwerde sein!), so ist es doch immer ein gewisses Gefühl des „Freikaufens“ vom schlechten Gewissen, wenn man seine paar Pesos als Trinkgeld abgibt. Allen kann man damit nicht helfen, aber zumindest diesem einen Menschen, für den 1€ schon ein guter Teil seiner Tageseinnahmen sein kann. Es handelt sich dabei eben nicht um Menschen, denen man ein eigenes Verschulden an ihrer Lage vorwerfen und an denen man einfach vorbeigehen könnte, ohne sie zu beachten. Nein! Hier geht es um Menschen, die von Geburt an keine andere Chance als diese hatten…

Das war México von seiner schlechten Seite. Tut mir leid, dass ich Euch die gute Laune beim Lesen verderben musste, aber auch diese Information hat mir auf der Seele gebrannt und ich fand, ihr solltet auch diese Seite dieses Landes kennenlernen.

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Ein normales Wohnviertel in Cholula – mit „durchschnittlicher Absicherung“ der Häuser